Werkbank vs. Whiteboard
- Maja Hofmann

- 20. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Es ist kurz vor dem Ende der Mittagspause. Wir sitzen bei der obligatorischen Tasse Kaffee, und ich habe mein Smartphone in der Hand. Eine Nachricht des ZDF poppt auf:
“Experten fordern mehr Arbeitsanreiz für Bürgergeldempfänger.” Ich lese den Satz vor – und schon ist sie da: die Diskussion über den Wert der Arbeit.
Das wird jetzt kein politischer Text. Nur ein Gedankenkonstrukt.
Das Thema Arbeit, Handwerk und Ausbildung beschäftigt mich zwangsläufig – bin ich doch selbst Arbeitgeberin. Mit der Suche nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kamen automatisch die Fragen:
Warum sollten Menschen Lust haben, bei mir zu arbeiten?
Was bedeutet Arbeit überhaupt?
Und warum ist das Wort so negativ besetzt?
Bis ins 18. Jahrhundert war Arbeit oft gleichbedeutend mit Selbstständigkeit. Man war Schmied, Fischer oder Bäcker – organisierte den Tag selbst, schuf Produkte, die man verkaufte. Damit ernährte man sich und seine Familie. War man krank, wurde nichts hergestellt und nichts verkauft. Die Frage, ob man „Lust“ auf seine Arbeit hatte, stellte sich nicht – man tat, was getan werden musste.
Mit der Industrialisierung kam die Anstellung – und damit scheinbare Stabilität. Die Löhne grenzten an Ausbeutung, Arbeitszeiten waren kaum geregelt. Zwölf bis sechzehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche – das war normal. Der Mensch war eine Verlängerung der Maschine. Wer ausfiel, wurde ersetzt.
Dann organisierten sich Arbeiterbewegungen. Es wurde protestiert, gestreikt, verhandelt. Aus Angst vor Aufständen wurde schließlich der Acht-Stunden-Tag eingeführt. Ein erster Schritt in Richtung geregeltes Arbeitsleben. Die Frage nach Freude und Sinn bei der Arbeit blieb trotzdem außen vor.
Überspringen wir ein Jahrhundet, landen wir in 2020. Klingelt da was?
Corona. Homeoffice. Zoom-MeetingsRemote Work. Beim Zoom Meeting keine Hose an? Kein Problem!
Innerhalb weniger Monate wurden viele Dinge, die früher als Privilegien galten, zum Standard.
In dieser Zeit schossen Life-Coaches, Business-Coaches und Dropshipping-Gurus aus dem Boden wie Pilze.
„Mit nur zwei Stunden am Tag 10k im Monat.“
„Hol dir dein Leben zurück – kündige deinen 9-to-5-Job.“
„Raus aus dem Hamsterrad – mit diesem simplen digitalen Produkt.“
Nur weil man etwas oft und laut wiederholt, wird es nicht automatisch wahr. Aber es verankert sich – irgendwo tief im Unterbewusstsein.
Was als sinnvolle Frage begann – Wie können wir Arbeit attraktiver gestalten? – wurde schnell zu einer Haltung: Ich arbeite maximal vier Tage pro Woche, alles andere ist unzumutbar. Zurück ins Büro? Auf keinen Fall.
Heute, ein paar Jahre später, hat sich einiges wieder zurecht geruckelt. Vor allem, weil die Coaches von neuen Stimmen übertönt werden.
„Künstliche Intelligenz wird bald alle Jobs ersetzen“, heißt es jetzt.
„Werde KI-Profi – sonst bist du raus.“
Und dann sitze ich in der Werkstatt, vor einem fertiggestellten Vergaser, und ziehe die letzte Schraube an. Zufriedenheit mischt sich mit Stolz. Vor mir liegt ein Stück Arbeit, das wieder funktioniert. Ein Kundenprojekt, das die Werkstatt bald verlässt – ein sichtbares Ergebnis von Können, Geduld und Sorgfalt.
Und da wird mir klar, wie selten dieses Gefühl in unserer Gesellschaft mit Arbeit in Verbindung gebracht wird:
Etwas erschaffen zu haben, das es vorher nicht gab. Etwas, das nicht in einer Cloud gespeichert wird, sondern auf der Straße lebt.
Wir wachsen in einem Umfeld auf, das uns früh beibringt, dass Arbeit immer anstrengend ist. Dass Montag der schlimmste Tag der Woche ist. Dass eine Ausbildung weniger wert ist als ein Studium. Und dass, wer gern zur Arbeit geht, wohl kein erfülltes Privatleben hat.
Aber ist das wirklich so?
Arbeit darf anstrengend sein. Anstrengung ist kein Makel, sondern gibt dem Ergebnis Wert. Auf der anderen Seite heisst es nicht, dass nur weil etwas leicht ist, keine gute Arbeit sein muss.
Für manche ist Buchhaltung und das einhämmern von Zahlen Spaß, für mich wäre es ein Krampf. Für andere wären permanent dreckige Hände und der Geruch von Öl und Benzin anstrengend, für mich Freude.
Ich denke, wir erzählen immer noch die falschen Geschichten über Arbeit. Arbeit per se ist nicht das, was uns müde macht, sondern oft das, was uns wachsen lässt.
In der Schule lernen Kinder, was sie werden können (dabei sind sie bereits), aber selten, was sie bewirken können. Sie treffen kaum auf echte Unternehmerinnen, Handwerker, Gründer – Menschen, die aus einer Idee etwas Greifbares schaffen. Stattdessen wird ihnen vermittelt, dass Erfolg primär am Schreibtisch passiert, selten an der Werkbank. Dass Karriere nur dann zählt, wenn sie mit einem Titel endet.
Doch Karriere kann vieles sein.
Eine Person, die mit Stolz ein Werkstück abliefert. Ein Mensch, der anderen Menschen hilft, gut durch den Tag zu kommen. Jemand, der sein Wissen und eine Vision in ein Unternehmen einbringt. Ein Mensch, der Verantwortung übernimmt, lernt und sich entwickelt. Jeder, der etwas (er)schafft, was vorher noch nicht da war.
Darum sollten wir anfangen, Kinder früh abzuholen – ihnen echte Einblicke geben, Vorbilder zeigen, Perspektiven öffnen. Wir sollten Ihnen den eigentlichen Sinn der Arbeit aufzeigen. Die Erfüllung darin.
Nicht alle Wege führen durch die Uni. Manche führen durch Werkstätten, über Baustellen, in kleine Betriebe.
Denn am Ende geht es nicht darum, was man arbeitet, sondern wie man arbeitet.
Mit welchem Anspruch, welcher Haltung, welchem Stolz.
„Work is not what drains you — meaningless work is. Effort directed toward mastery, service, or creation gives energy back." / Arbeit ist nicht das, was dich auslaugt – sinnlose Arbeit ist es. Anstrengung, die auf Können, Dienst am Nächsten oder Schöpfung gerichtet ist, gibt dir Energie zurück — Chris Williamson





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